Wie groß soll Deine Zahnarztpraxis werden? Entscheide umsichtig.
Die zahnärztliche Mehrbehandlerpraxis ist ein attraktives berufliches Lebensziel. Den Start und die erste Wachstumsphase bekommen die meisten Gründer*innen auch brillant gemeistert. Wenige Jahre nach Übernahme bzw. Neugründung wird oft bereits mit zwei oder drei angestellten Zahnärzt*innen und einer Teamgröße von rund 20 Personen erfolgreich praktiziert. Strukturen sind gut gelegt, das Team zufrieden, die Rendite passt – alles rund.
Dieses Erfolgserlebnis macht Appetit auf mehr. Größere Räume oder die eigene Praxisimmobilie kommen ins Visier. Chirurgie ausbauen? Weitere Zahnärzte? Noch ein Standort? Separater Kinderbereich? KFO dazu? Und in der Prophylaxe wäre doch auch noch so viel Potenzial?!
STOP! Genau an dieser Stelle empfiehlt sich diszipliniertes Innehalten. Gründliches Reflektieren, bevor Fakten geschaffen werden. Sich selbst eine Phase der umsichtigen Orientierung verordnen. Warum? Weil sich die Erfolgsfaktoren mit der nächsten Größenkategorie grundlegend ändern. Vielleicht handelt man sich mit der so attraktiv winkenden Wachstumsetappe wenig willkommene Begleitumstände ein.
Was ändert sich denn konkret? Schauen wir zunächst auf eine Skizze, die Praxisgrößen grundlegend einordnet und gehen dann auf Detailaspekte ein:
Die große Praxis ist nicht die kleine multipliziert mit zwei, drei oder fünf
Gründer*innen starten meistens in Kategorie I (Ein- und Zweibehandlerpraxen) und erlernen in ihren ersten Jahren entsprechende Verhaltensmuster für Selbstwirksamkeit und Praxiserfolg. Dabei ist zu bedenken: Bis einschließlich Größenkategorie II haben die erlebten Erfolge sehr viel zu tun mit hoher persönlicher Motivation und fachlicher Stärke der Praxisinhaber*innen. Ein Team von 12 bis 20 Menschen kann (je nachdem, ob es ein oder zwei Praxisgründer*innen sind) dabei persönlich gut „abgeholt“ und mitgenommen werden. Im Praxisalltag reicht die Zeit, um parallel zum Strukturaufbau jedem persönlich gerecht zu werden und ein loyales Kernteam aufzubauen.
Bei Übergang zu Größenkategorie III reduziert sich mit dem wachsenden Team zwangsläufig die Durchschlagskraft der Präsenzleistung von Praxisinhaber*innen. Die vorhandene Zeitkapazität muss auf mehr Personen verteilt werden. Außerdem belegen die Sachthemen der Expansion (neue Räume, Erweiterung der Technik, Finanzierung, Recruiting, Erweiterung des Therapiespektrums etc.) die Aufmerksamkeit der Praxislenker. Die Zeit pro Teammitglied reduziert sich. Gleichzeitig arbeiten sich neue Kolleg*innen ein; die Produktivität der Praxis verteilt sich auf eine zunehmende Anzahl von Köpfen. In dieser Phase erlebt das Praxisteam, dass sich das Miteinander anders anfühlt. Bewährte Handlungs- und Erfolgsroutinen führen auf einmal zu anderen Ergebnissen, Fragen bleiben offen.
Wir nennen dies „Stadium Rüttelplatte“. Neben dem Gefühl „Ich werde von meinem Chef/meiner Chefin gar nicht mehr gesehen.“, gibt es einen zweiten zentralen Grund für entstehende Unzufriedenheiten im Team: die zunehmende Komplexität (in der Grafik durch den blauen Pfeil dargestellt). Je mehr Menschen, Perspektiven, Erfahrungen und Handlungsebenen zusammenkommen, desto mehr Aktion, Reaktion und Wechselwirkungen entstehen im täglichen Miteinander. Therapeutische Vielfalt entsteht, das Spektrum an menschlichem Alltagsverhalten und Organisationsanforderungen wird breiter. An Alltagsthemen entstehen Diskussionen und Missverständnisse. Die Klarheit über den eigenen Arbeitsplatz und die Aufgaben schwindet, bis dato gute Beziehungen innerhalb des Teams verändern sich. Irritationen und Störgefühle nehmen auf allen Seiten zu, Praxisabläufe holpern, Kommunikation wird anstrengend, Schlüsselkräfte sind überlastet. Krankenstände und Fluktuation steigen. Praxisrenditen verwässern.
Um in dieser Wachstumsetappe den Teambedürfnissen weiterhin angemessen zu entsprechen und auch weiterhin profitabel wirtschaften zu können, braucht es einen grundlegenden Umbau des Management- und Führungskonzeptes. Dieser Umbau ist mit hohen Personal- und Strukturinvestitionen verbunden.
Klare, konsequente Entscheidung treffen
Wir empfehlen dringend, in dieses Wachstumsstadium (zwischen II und III) entweder gut vorbereitet einzutreten und kraftvoll auf eine Teamgröße von über 40 Personen zuzusteuern. Oder bewusst und konsequent darunter zu bleiben. Warum über 40 Personen? Weil das notwendige Aufwandsplus in Team- und Organisationsstruktur nur wirtschaftlich ist, wenn ein deutlicher Umsatzsprung gelingt. Dies ist ein Erfahrungswert, den wir aus einer Fülle an Daten sehr deutlich ableiten konnten.
Großpraxis-Strukturen aufbauen
Wenn die Großpraxis das reflektierte, klar formulierte Ziel ist, steht der Umbau des Management- und Führungskonzeptes an. Um auch im wachsenden Team effektiv und rentabel arbeiten zu können, braucht die Praxis ab diesem Punkt (gelbe Linie in der Grafik) eine andere Handlungsperspektive: weg von der Praxisinhaber*innen-Zentrierung hin zum Funktionieren des Gesamtsystems. Zentrale Komponenten dieses Konzeptes sind:
Qualifizierte zweite Führungsebene
Bedeutet: Praxismanagement (ohne Abrechnungsaufgaben!) und Team- bzw. Bereichsleitungen. Gebraucht werden Menschen, die nicht nur ein Feld im Organigramm belegen, sondern echte Führungskräfte, die ihre Aufgaben kennen, sich damit identifizieren, persönliche Reife mitbringen und einschlägige Fortbildungen erfolgreich absolviert haben. Fachliche Kompetenz ist die Basis. Ausreichende Persönlichkeitskompetenz muss on top kommen, weil ansonsten die Entlastung der Chefebene nicht funktioniert. Ob jemand als Führungskraft akzeptiert ist oder nicht, entscheidet sich aus der Perspektive des Teams. Nicht durch die formelle Position. Führungskräfte in Zahnarztpraxen sind zu oft unterqualifiziert. Mit der Konsequenz, dass auch die Menschen, für die sie Verantwortung tragen, unter ihren Möglichkeiten bleiben bzw. die Praxis verlassen. Gute Führungskräfte sind ein entscheidender Faktor für Arbeitgeberattraktivität.
Hoher Organisationsgrad
Bedeutet: professionelle Standards in Verwaltung, Organisation, Patientensteuerung. Natürlich gehört auch ein funktionierendes Konzept für Mitarbeitergewinnung dazu. Denn ohne die Gewissheit, geschaffene Stellen auch realistisch besetzen zu können, wäre eine Verdoppelung der räumlichen Behandlungskapazitäten ein Ritt auf der Rasierklinge. Weitere Orga-Komponenten der Großpraxis sind beispielsweise klar definierte, verschriftlichte therapeutische Leitlinien, verlässlich effizientes Terminmanagement für alle Zahnärzt*innen und das Prophylaxeteam, einheitliche organisatorische Abläufe, zeitgemäße Digitalisierung, etablierte Onboardingprozesse, zackige Meetingstrukturen und vieles mehr. Hohe Organisationsstandards haben zwei essenzielle Vorteile: Sie erzeugen Sogwirkung auf leistungsstarke Mitarbeiter*innen. Und gewährleisten, dass Routineprozesse wie ein Uhrwerk laufen. Was wirtschaftlich wichtig ist, denn: Geld wird immer in der Routine verdient.
Wirksames Planungs- und Controllingsystem
Die zahnärztliche Großpraxis muss sich im Vergleich zur Praxisgröße I und II viel mehr mit sich selbst beschäftigen. Nur mit ausreichenden Ressourcen für Management und Führungsaufgaben kann genau der Praxisalltag entstehen, in dem sich Mitarbeiter*innen nachhaltig wohlfühlen und in dem es auch wirtschaftlich rund läuft. Folgewirkung für die Praxiszahlen: Die notwendigen hohen Personalressourcen und Orga-Investitionen lassen den Fixkostenanteil in schwindelerregende Höhen steigen. Kein Grund nervös zu werden – aber: Finanzen und Performance brauchen fundierte Planung und kleinteilige Steuerung.
Die krassen Veränderungen in der Kostenstruktur führen dazu, dass Geldverdienen ab Größenkategorie III kein Selbstläufer mehr ist. Mit ein bisschen BWA, Personalkostenquote, interessiertem Rumklicken in Praxisstatistiken und „Management by Kontoauszug“ ist es nicht mehr getan. Im Gegenteil: Minimalismus bei Daten, Zahlen und Performance kann brandgefährlich werden.
Existenziell für die große Zahnarztpraxis ist eine spezifische betriebswirtschaftliche Gesamtkalkulation. Mit hohem Detailierungsgrad für die Einnahmenseite (nach Abteilungen und Behandler*innen) inklusive der entscheidenden Performance-Kennzahlen (Stundensätze, bereichsweise Personalkostenquoten, Anzahl Patienten pro Zahnärzt*in, Delegationsquote etc.). Und Obacht: Ein Datenfriedhof hat keine Wirkung. Das Ganze funktioniert nur, wenn das Datensystem in einen Meetingmodus eingebettet ist. Und die Führungskräfte die Daten mit dem Team kommunizieren, genau dafür eine redliche Grundhaltung tragen und gut ausgebildet sind. Mit Transparenz kann eine sehr gute Positivwirkung im Team erzeugt werden. Die Mitarbeiter*innen fühlen sich integriert, können mitreden und tragen ihren Teil dazu bei, dass sich Pläne auch tatsächlich realisieren.
Führungsaufgaben des Praxisinhabers/der Praxisinhaberin
Fremdoptimierung anstelle von Selbstoptimierung: Dieses Prinzip bringt die konkrete Herausforderung der zahnärztlichen Großpraxis gut auf den Punkt. Bin ich bereit, in einen Führungsstil zu wechseln, der sich auf die Bedürfnisse meiner Mitarbeiter*innen konzentriert? Habe ich Freude daran, die Potenziale in meinem Team zu erkennen und meine Mitarbeiter*innen dabei zu unterstützen, sich zu entwickeln? Habe ich Interesse an Gen Y und Z und an zukunftsfähiger Kultur? Bin ich bereit, in meine Persönlichkeitsentwicklung und meine Führungs-Toolbox zu investieren? Oder ist mir das doch alles eher zu anstrengend, ich schieße die Tore einfach lieber selbst und verdiene gut dabei?
Genau hier ist die sensibelste Herausforderung der Großpraxis. Denn der nachhaltige, gesunde Erfolg ab Größenkategorie III steht und fällt mit der Bereitschaft zum persönlichen Rollenwechsel. Wer diesen versäumt und den 50-Leute-Betrieb trotzdem aufbaut, wird zum Getriebenen. Denn dann muss er oder sie weiterhin jeden Tag Vollgas am Patienten geben, damit die Rendite passt. Sandiger Boden.
Fazit
Die zahnärztliche Großpraxis ist zweifellos reizvoll, gleichzeitig ein sportliches Projekt, das die gesamte Persönlichkeit fordert. Oft wird unterschätzt bzw. fehlvermutet, was für einen erfolgreichen Mehrbehandlerbetrieb konkret zu tun ist. In diesem Artikel haben wir die wesentlichen Handlungsbereiche skizziert.
In jedem Fall hat es Vorteile, vor einem nächsten großen Schritt einmal anzuhalten und zentrale Fragen zu stellen: Warum will ich die große Praxis? Wofür brenne ich? Wie soll mein Alltag aussehen? Passen die Aufgaben an der Spitze der Großpraxis zu mir? Welche Rolle möchte ich ausfüllen? Die Antworten werden die persönlich passende Entscheidung anzeigen.